DIE GENETISCHE HERKUNFT DER IBERISCHEN REBSORTEN

Noch kann man Populationsrelikte der Wildrebe Vitis vinifera subspecies sylvestris am Rande von Wasserläufen und Seen der vielseitigen iberischen Landschaft finden (siehe der folgenden Artikel von Rafael Ocete Rubio). Die Populationen waren Ende des 19. Jahrhunderts wesentlich größer und darüber hinaus breiter gestreut (Ocete et al., 2007). Ihr drastischer Rückgang ist auf zwei wesentliche Ursachen zurückzuführen: Die Zunahme der menschlichen Bevölkerungsdichte sowie das Auftreten und die Verbreitung von Schädlingen, mit größter Auswirkung auf die Art wie auch auf ihre natürliche Verbreitung.

Während die Eiszeiten das nördliche und zentrale Europa mit Frost überzogen, diente die Iberische Halbinsel als Refugium für viele Pflanzenarten (Gomez & Lunt, 2006) und wurde zu einem der größten Zentren der Artenvielfalt des Mittelmeerraums (Myers et al., 2000).

Der Mensch des Paläolithikums pflückte die Trauben an den Flussufern und verzehrte sie (Rivera & Walker, 1989). Mit der Zeit kam mit den seefahrenden Völkern wie den Phöniziern die Weinkultur. Es gibt Hinweise darauf, dass die Phönizier nicht nur den Wein importierten, sondern auch Rebsorten und Weinbau mitbrachten und somit die ersten Weinberge in ihren iberischen Kolonien errichteten (Hidalgo, 2002). Anschließend an die Phönizier waren es Griechen und Römer, die ihre Weinbaupraxis und Rebsorten mitbrachten, wie dies zuvor beschrieben wurde. Darüber hinaus kolonisierten nach dem Ende des weströmischen Reiches Sarazenen von Nordafrika aus die Iberische Halbinsel, was eine Unterbrechung der vorhergehenden Praxis für die folgenden acht Jahrhunderte bedingte (7.–15. Jh.). Dies führte dazu, dass auch sie einen Beitrag zur Weinbaupraxis leisteten mit ihren eigenen Rebsorten östlicher Provenienz, die für den Direktverzehr der Trauben gezüchtet wurden. Es waren in konsequenter Weise geographische, geschichtliche, kaufmännische, politische und selbst religiöse Beziehungen zwischen der Iberischen Halbinsel und anderen Kulturkreisen, die mit dem Austausch und der Verbreitung neuer Rebsorten zu einer Bereicherung des regionalen Genzentrums führten.

Andererseits war dies auch der Grund dafür, dass sich im 19. Jahrhundert zusammen mit den Sorten auch neue Krankheiten ausbreiteten. Dies bedingte wirtschaftliche Maßnahmen, welche wiederum zur Beschränkung der genetischen Vielfalt führten. Insgesamt führten alle diese Entwicklungen zu einer Vermischung der Genotypen der Reben, die wir heute in den Weinbergen und Rebkollektionen Spaniens und Portugals vorfinden. Der schnelle Fortschritt der Gentechnik und ihrer Hilfsmittel in den beiden letzten Jahrzehnten gestattet es nunmehr, Aussagen über die geschichtliche Herkunft der Reb‑Genotypen zu machen – gewissermaßen als Zeugnis für die gemeinsame Entwicklung von Rebe und Mensch in der Geschichte.

Genetische und genomische Aspekte des Ursprungs der iberischen Kultivare

Über den Zellkern hinaus haben die Pflanzen zwei Organellen im Zellbereich, die eigene Gensätze beinhalten, die Mitochondrien und die Chloroplasten. Alle drei, Chloroplasten, Zellkern und mitochondrisches Genom von Vitis vinifera, wurden inzwischen zu Referenz‑Genotypen sequenziert (Jansen et al., 2006; Jaillón et al., 2007; Velasco et al., 2007; Goremykin et al., 2009). Dies lieferte das Handwerkszeug zur Klassifizierung unterschiedlichen Rebsorten mittels DNA‑Abschnitte in zwei Basis‑Typen:

1) Nukleotider Ersatz (DNA) bedingt single‑nucleotid‑Polymorphismus oder SNP;

2)(spontane) Einschleusung und Austritt von Sequenzen, als INDEL bekannt.

Die zweite Gruppe umfasst Insertionen oder Deletionen (bei Mutationen im Genom), genannt INDEL, vom single nucleotid bis zu längeren Abschnitten. Wiederholungen einfacher Kernsequenzen, die man als Mikrosatelliten bezeichnet, können auch als besondere Form von INDEL gesehen werden.

Die genetische Vielfalt des Genoms der Reb‑Mitochondrien ist noch nicht untersucht worden. Jedoch können die Untersuchungen über Anzahl und Verteilung der genetischen Vielfalt des Chloroplasten‑ und Kern‑ Genoms bei Wild‑ und Kulturrebsorten Informationen über Herkunft und Verwandtschaft liefern. Einerseits liefert das Kern‑Genom viermal schneller als das Chloroplasten‑Genom (Wolfe et al., 1987) nukleare DNA‑Marker als Werkzeug zur Auswahl für Domestikationsstudien von Pflanzen (Zeder et al., 2006). Andererseits wird der Chloroplast bei den meisten Pflanzenarten eingeschlechtlich weitergeleitet und dient deshalb dazu, den relativen Einfluss von Samenverbreitung oder Pollenflug auf die genetische Zusammensetzung von Populationen zu erkennen (Provan et al. 2001) und die Hypothese des Kultur‑ oder Wild‑Genflux zu testen oder die Herkunft bestimmter Genotypen zu erkennen.

Die genetische Vielfalt des Chloroplasten‑Genoms deutet auf ein zweites Domestikation sereignis auf der Iberischen Halbinsel hin. Das Genom des Chloroplasten ist ein ringartig geschlossenes DNA‑Molekül von 160,928 bp Länge mit der identischen Geninformation von anderen angiospermen Chloroplasten‑Genomen (Jansen et al., 2006). Chloroplasten werden bei Reben über die weibliche Linie vererbt (Strefeler et al., 1992; Arroyo García et al., 2002), das heißt jedwedes polymorphe Chloroplasten‑Genom kann über Samen und Stecklinge übertragen werden, nicht jedoch über Pollen.

Die Chloroplasten‑Genvielfalt bei Reben wurde durch die Analyse der unterschiedlichen Formen von Mikrosatelliten‑Loci untersucht (Arroyo‑García et al., 2002; Imazio et al., 2006). Die Mikrosatelliten von Chloroplasten weisen nur eine Wiederholung der Nukleotidsequenz auf, die sich bei unterschiedlichen Genotypen in ihrer Basen‑Anzahlund infolgedessen auch in ihrer Länge unterscheidet. Es wurde bis zu 34 unterschiedliche Loci beim Chloroplasten‑Genom der Rebe untersucht, und man hat festgestellt, dass es nur fünf unterschiedliche Formen gibt. (Arroyo‑García et al., 2006; siehe auch This et al., 2011). Die Variationsanalyse dieser polymorphen Loci erkannte bei einem Großversuch mit 1.201 Mustern an Wildreben und Kulturreben 2–3 Mikrosatelliten pro Locus, die wiederum mit 8 Chlorotypen oder Genomtypen von Chloroplasten verbunden waren.

Deshalb konnten bei den Genomtypen von Reben nur acht maternelle unterschieden werden, und unter diesen wiesen nur vier eine Häufigkeit von über 5% auf. Diese vier Chlorotypen werden mit den Buchstaben A, B, C und D gekennzeichnet.

Die Verteilung der Chlorotypen ist bei Wildrebenpopulationen in ihrem natürlichen Habitat nicht homogen. Der Chlorotyp A unterscheidet sich wesentlich von den Chlorotypen B, C und D, er wird vorwiegend in Wildrebenpopulationen in West‑ und Zentraleuropa gefunden und existiert nicht in Populationen des Nahen Ostens oder Asiens. Weiterhin sind die Chlorotypen C und D häufiger im Nahen Osten und Asien., man findet sie aber nicht in den westeuropäischen Populationen. (Arroyo‑García et al., 2006; ). Die Verteilung der Chlorotypen bei Rebsorten folgt einem ähnlichem Verhaltensmuster. Den Chlorotyp A trifft man häufig in Westeuropa, insbesondere bei Rebsorten der Iberischen Halbinsel, dagegen ist der Chlorotyp C für die östlichen Sorten charakteristisch und vor allem in hohem Maße bei Tafeltrauben anzutreffen (Arroyo‑García et al., 2006). Dieses Verteilungsmuster konnte auch in Portugal bei Wild‑ und Kulturreben erkannt werden (Cunha et al., 2010). 75% der Rebsorten Spaniens und Portugals tragen den Chlorotyp A, und dieser ist der am häufigsten in natürlichen Populationen vorkommende Chlorotyp in Iberien (Arroyo‑García et al., 2006; Cunha et al., 2010).

Eine ähnliche Situation wurde in den Maghreb‑Ländern Nordafrikas vorgefunden, die natürlichen Wildrebenpopulationen trugen generell den Chlorotyp A..

Allerdings waren in dieser Region die meisten erfassten Kulturreben Tafeltrauben und trugen regelmäßig den Chlorotyp C (Snoussi et al., 2004; Zinelabidine et al., 2010). Auch wenn sie unterschiedliche Bezeichnungen für die Chlorotypen verwenden, sprechen andere Autoren davon, dass Chlorotyp VI (entspricht Chlorotyp A) häufig in Iberien vorkommt (Imazio et al., 2006), aber bei Wildreben im Iran nicht entdeckt werden konnte, wo dafür die Chlorotypen I und III (entspricht D und C) häufig vorgefunden wurden (Baneh et al., 2007).

Abweichungen in der Häufigkeit von DNA‑Sequenzen weisen auf genetische Invasion (ingression) von Wildrebenpopulationen in bestehende Ertragsrebkulturen in Westeuropa hin.

Die hohe Evolutionsrate der Mikrosatelliten‑Loci des Zellkern‑Genoms war von Vorteil für die Herkunftsforschung und die Messung der genetischen Vielfalt (Aradhya et al., 2003; Cipriani et al., 2010; Laucou et al., 2011). Wie dem auch sei sind heute die SNPs dabei, die Mikrosatelliten abzulösen (Lijavetzky et al., 2007; Myles et al., 2010). Diese Technik vermag pro Experiment Tausende von genetischen Markern zu erzeugen.

Alle Studien mit Zellkernmaterial der westlichen Wildrebenpopulationen von Vitis vinifera subsp. sylvestris im Vergleich zu unterschiedlichen Stämmen der Vitis vinifera‑Kultursorten (von west‑ bzw. zentraleuropäischen oder nordafrikanischen Standorten) haben Wildrebenpopulationen wie Kulturrebengruppierungen als unterschiedliche genetische Gruppen erkannt (Grassi et al., 2003; Snoussi et al., 2004; Dzhambazova et al., 2009; Zinelabidine et al., 2010). Diese Ergebnisse führen zu dem Schluss, dass die westeuropäischen Wildrebenpopulationen von V. vinifera subsp. sylvestris und die Kulturreben unterschiedlichen genetischen Ursprungs sind. Einzig eine kürzlich erfolgte Studie verbindet die Untersuchung von Kulturreben mit Stichproben von Vitis vinifera subsp. sylvestris sowohl in ost‑ als auch in westeuropäischen Verbreitungsgebieten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung weisen auf eine engere genetische Ähnlichkeit zwischen Ostkultursorten und Wildreben hin als zwischen westlichen Rebsorten und sylvestris‑Typen (Myles et al., 2011). Dieses Ergebnis kann als erste genetische Evidenz gewertet werden, dass der ursprünglichen östlichen Rebdomizilierung deren Migration in ost‑westlicher Richtung folgte. Darüber hinaus kann diese Untersuchung auch die These der introgression genetischen Materialsvon westlicher Vitis sylvestris in westliches Kulturrebgut bestätigen, was wiederum die leicht höhere genetische Ähnlichkeit zwischen westlichen Kulturreben und westlichen Wildreben‑Genotypen gegenüber östlichen Kultursorten und westlichen Vitis sylvestris‑Genotypen erklären würde. Wenn auch hochinteressant und im Einklang mit der Beobachtung ähnlicher Chlorotypen bei Wild‑ und Kulturreben in Westeuropa, müssen diese Ergebnisse wegen der bisher geringen Versuchshäufigkeit mit Vorsicht bewertet werden.

Nachkommenschaftsanalysen bringen Licht in eine mutmaßlich mittelalterliche Verschmelzung von Rebsorten, bei der viele der heutigen Rebsorten entstanden. Was geschah seit dem ersten Anbau von importiertem Rebmaterial und als Ergebnis von „zweiten Domestizierungsereignissen“ der oben genannten Art auf der Iberischen Halbinsel im Hinblick auf unsere heutigen Rebsorten? Bedauerlicherweise gibt es noch nicht genügend Berichte, um die Rebsortenspiegel der unterschiedlichen Zeiten zu identifizieren. Einige Sorten, wie der Muskateller, sind seit der römischen und griechischen Zeit über den ganzen Mittelmeerraum verteilt und mögen darüber hinaus auch vor über 1.000 Jahren auf die Iberische Halbinsel gekommen sein. Tatsächlich kann man viele dieser Sorten unter denen wiedererkennen, die im 12. Jahrhundert von dem andalusischen Landwirt Ahmad Ibn al‑Awwam al‑Ishbili (Abu Zakaria) im Kitab al Filaha, dem Buch der Agricultura (Abu Zacaria 1988), beschrieben wurden (Milla Tapia et al., 2007). Einige der heutigen Rebsorten sind auch wiedererkennbar in den ersten ampelographischen Beschreibungen von Alonso de Herrera im 16. Jahrhundert in Spanien (Milla Tapia et al., 2007).

Untersuchungen zu verwandschaftlichen Beziehungen von Rebsorten mittels molekularer Mikrosatelliten‑Marker begannen 1977 mit dem Abkommmenschaftsnachweis des Cabernet Sauvignon (Bowers & Meredith, 1997) aus einer Hybridisierung von Cabernet Franc und Sauvignon Blanc. Diese Studie öffnete die Tür zu ähnlichen Untersuchungen in verschiedenen Gebieten, was zu der Erkenntnis führte, dass in bestimmten Gebieten die dortigen Rebsorten eng miteinander verwandt sind (Sefc et al., 2000). Dieser Tatbestand zeigte sich sowohl bei französischen Rebsorten (Bowers et al., 1989; Boursiquot et al., 2009; This et al., 2006) als auch bei italienischen (Vouillamoz et al., 2007; Crespan et al., 2008; Cipriani et al., 2010) oder zentraleuropäischen Sorten (Sefc et al., 1998; Vouillamoz et al., 2003).

Eine ähnliche Situation konnte auch auf der Iberischen Halbinsel am Beispiel erster Nachkommenschaftsanalysen festgestellt werden. Die portugiesischen Rebsorten Malvasía de Colares, Manteudo und Camarate Tinto scheinen durch Hybridisierung der vermutlich weiblichen arabischen Sorte Gibi und der portugiesischen Sorte Amaral entstanden zu sein, die portugiesischen Sorten Arinto do Dão und Codega sowie die portugiesischen und spanischen Sorten Alfrocheiro und Jaen Blanco stammen von denselben Elternsorten ab (Lacombe et al., 2007). Weiterhin ist die seltenere spanische Rebsorte Subirat Parent ein Hybrid des Gibi mit der spanischen Sorte Tortozón (Planta Nova) (Lacombe, 2007). Man fand, dass die Sorte Gibi ein Allel pro Locus mit einer anderen spanischen Sorte teilt, dem Pedro Ximénez, und darüber hinaus viele andere Abstammungsbeziehungen aufweist (Vargas et al., 2007). Tatsächlich weisen Untersuchungen von iberischen und von Maghreb‑Sorten mit Zellkern‑Mikrosatelliten auf sehr viele Abstammungs‑ und Verwandschaftsbeziehungen hin, welche mindestens ein Allel pro untersuchtem Locus teilen (Santana et al., 2010; Zinelabidine et al., 2010). Es wurde auf breiterer Basis durch eine 9K‑SNP‑Genotyp‑Versuchsaufstellung gezeigt, dass bis zu 75% der untersuchten Rebbestände verwandtschaftliche Nachkommenschaftsbeziehungen zu anderen Genotypen der Sammlung haben, was vermuten lässt, dass ein Großteil des heutigen Rebsortenspiegels aus hybridaler Abkommenschaft anderer bekannter Sorten stammt (Myles et al., 2011).

Vor dem Beginn der systematischen Kreuzungszucht im 19. Jahrhundert wurde die generative (geschlechtliche) Vermehrung nicht bewusst gesteuert. Viele der meistgenannten Hybridsorten entstanden in vorhergehenden Jahrhunderten, und es sollte angenommen werden, dass sie einer spontanen Hybridisierung entstammen, bei der Kerne zur Rebenaufzucht verwendet wurden, oder durch nachlässige Weinbergspflege entstanden, wenn wilde Sämlinge sich entwickeln und in den kommenden Jahren innerhalb der Kultur überleben konnten. Interessanterweise wurden Selbstungen bestimmter Sorten kaum gefunden. Dies lässt vermuten, dass eine Massenauslese für die Entfernung von Pflanzen mit weniger Triebigkeit und schlechterem Ertrag, wie dies bei Inzuchtdepression der Fall ist, gesorgt hat.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts bis zu unseren Tagen wurden durch systematische Kreuzungszucht neue Sorten geschaffen, die in den iberischen Rebsortenspiegel Eingang fanden. Dies ist bei den Färbertrauben des Henry Bouschet der Fall, die in Portugal und Spanien teils unter synonymen Bezeichnungen kultiviert werden (Cabezas et al., 2003).

Ein gut beschriebenes Beispiel für die Schaffung neuer Sorten sind die durch spontane Hybridisierung entstandenen „kreolischen“ Sorten im amerikanischen Weinbau, die auch Zugang zur Iberischen Halbinsel fanden. Hierzu können die im Folgenden beschriebenen Beispiele an Rebsorten beitragen, welche von der Iberischen Halbinsel ausgeführt und in Amerika zu eigenen Kulturpflanzen umbenannt wurden. Vitis vinifera‑Sortenwurden Anfang des 16. Jahrhunderts durch Franziskaner‑ und Jesuitenmönche nach Mexiko und Peru gebracht (Hidalgo, 2002). Sie wurden in Missionsweingärten angepflanzt und an neugegründete Missionen verteilt, wobei sie in den verschiedenen Gebieten unterschiedliche Namen annahmen. Neuerdings wurde bei der Genomanalyse alter Sorten, die in Nord‑ und Südamerika immer noch kultiviert werden, herausgefunden, dass drei der im 16. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel üblichen Sorten unter anderem Namen im amerikanischen Weinbau weiter existieren. Vor allem sind dies die drei Rebsorten Moscatel de Alexandria, Listán Prieto und Mollar Cano. Am weitesten verbreitet war der Listán Prieto, eine rote Rebsorte, in Amerika bekannt als País, Uva Negra Vino und Viña Negra in Chile, Criolla Chica in Argentinien, Rosa del Perú und Negra Corriente in Peru, Misión in Mexiko und Mission in Kalifornien. Zusätzlich haben diese Sorten in den 500 Jahren seit ihrer ersten Immigration spontane Hybriden erzeugt, die „kreolischen Sorten”. So haben spontane Kreuzungen mit Listán Prieto und Moscatel de Alexandria die typischen kreolischen Sorten wie Torrontés Riojano, Torrontés Sanjuanino, Torontel, Cereza, Moscatel Amarillo, Criolla Grande, Criolla Mediana oder Huasquina Pisquera hevorgebracht (Agüero et al., 2003; This et al., 2006; Milla‑Tapia et al., 2007).

Zusammenfassung

Wenn man einen Ursprung des Weinbaus auf der Iberischen Halbinsel vor über 2.000–3.000 Jahren annimmt und das Ergebnis der bisher erfolgten Studien mit molekularen DNA‑Markern verschiedener Zellkern‑ und Chloroplast‑Sequenzen betrachtet, findet man einen Mix iberischer Sorten mit aus dem Orient eingeführten Sorten, welche gemeinsam Chlorotypen C oder D beinhalten, zusammen mit dem lokalen, sekundär domizilierten Genotyp A. Da Chloroplasten nur mütterlicherseits vererbt werden, ist die Domizilierung die einzige Möglichkeit, den Chloroplast A ins Genmaterial der Kulturreben zu bekommen, indem man vegetatives Material oder Kerne kultiviert, die aus westlichen Populationen der Vitis vinifera subsp. sylvestris stammen. Diese zweite Domestikation (secondary domestication events) auf der westlichen Seite des Mittelmeerraums mag von der Streuwirkung des Weinbaus orientalischer Kulturen beeinflusst sein. Es besteht aber aus neuerer Zeit Kenntnis vom Gebrauch der lokalen Vitis sylvestris‑Populationen durch die iberischen Einwohner. Einige Zyklen spontaner Befruchtung von neuerdings domestizierten Pflanzen (des Chlorotyps A) mit Pollen von importierten Rebsorten und Selektion unter Hybriden mit orientalischen Phänotypen (großbeerig und große Trauben) ergeben Sorten des Chlorotyps A, die aber nach Phänotyp und Zellkern‑Genotyp sowie Charakteristiken eine mehr orientalische Prägung zeigen. Das Ergebnis der Untersuchung des Rebengenoms mit 9000 SNP erhärtet die Vermutung des Eindringens (introgression) von westlichem genetischem Vitis sylvestris‑Material in die hier kultivierten Sorten (Myles et al., 2011). Dies wiederum ist im Einklang mit den erfolgten Untersuchungen über die Verteilung der Chlorotypen. Spontane Hybridbildung zwischen Rebsorten war geeignet, um wiederkehrende Situationen zu schaffen für Hybriden, die bis in unsere Tage kultiviert werden. Wenn wir von der Zeitspanne seit der Entstehung der „kreolischen Sorten“ (eine Generation in 500 Jahren) ausgehen, kann man schätzen, dass es – bei nur fünf bis zehn sexuellen Vermehrungsgenerationen – 2.000 bis – 3.000 Jahre iberischer Weinkultur dauern würde, um den jetzigen Rebsortenspiegel zu erreichen. Auf jeden Fall jedoch ist es unwahrscheinlich, dass Sorten aus natürlicher Domestikation und Sortenimport seit der Bronzezeit bis heute erhalten geblieben wären, ohne dass sich durch spontane Hybridbildung die Reben in der Weinbaugeschichte fortentwickelt hätten.

Auf der Iberischen Halbinsel und in den Maghreb‑Ländern wird bei den natürlichen Vitis vinifera subsp. sylvestris am häufigsten der Chlorotyp A gefunden (> 90%). In Europa bis in den Balkan findet man ihn ebenfalls. Chlorotyp D wird meist (fast 50%) im Mittleren Osten gefunden sowie in Europa bis zur italienischen Halbinsel. Chlorotyp B findet man in geringer Konzentration in allen vorgenannten Gebieten, den Chlorotyp C im Mittleren Osten in gleicher Häufigkeit wie den Chlorotyp D, aber in Europa konnte seine natürliche Verbreitung nur auf dem Balkan nachgewiesen werden. Den Chlorotyp C findet man bei Tafeltrauben und bei französischen Rebsorten, die mit der Sorte Gouais eine maternelle Verwandschaft aufweisen.

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