Genetische Unterschiedlichkeit innerhalb der Rebsorten

Antero Martins (Instituto Superior de Agronomia)

Rebsorten bestehen aus Populationen von Reben gleicher morphologischer Eigenschaft, die mit klassischer ampelografischer Metodik oder mit molekularbiologischer Techniken bestimmt werden können. Die Identität von Rebsorten ist üblicherweise an einen Namen oder eine Bezeichnung gebunden; dies erleichtert Identifikation und diese bekleidet die Rebsorten oft lange Zeit.

Gleichwohl bedeuted diese Identifizierung einer Sorte nicht, daβ alle Individuen der Population völlig gleich sind. Schon lange wurde von Winzern erkannt, daβ es innerhalb der Rebsorten unterschiedliche ampelografische Varianten gibt. Dies ging soweit, daβ sich innerhalb der gleichen Sorte eigene Unterbezeichnungen bildeten. (Beispiele: Tourigão, Tourifa Foufeira, Castelão de Vide Branca, Chasselas Ciutat, Negra Mole Encarrapitude, Fernão Pires do Beco, Tinta Roriz Pé de Perdiz, usw).

Zu Beginn der Klonenzüchtung, anfang der 20er Jahre, wuchs dank gezielter Versuche das Bewuβtsein über das Vorhandensein von Abweichungen innerhalb der Sorten. Dies führte dazu, daβ gezielt Biotypen mit besseren Eigenschaften ausgelesen wurden.

Das Heranwachsen der Erkenntnis einer genetischen Unterschiedlichkeit innerhalb der Rebsorten entwickelte sich langsam. Noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts bestanden beträchtliche Meinungsverschiedenheiten unter den Fachleuten hierzu. Sartorius (1926,1928) und Bioletti (1928), während der erstere für die genetische Unterschiedlichkeit innerhalb der europäischen Sorten eintrat, konnte der zweite diese bei den gleichen Sorten in der USA nicht bestätigen.

Jedoch ab den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erfuhr die Klonenzüchtung einen starken Aufschwung in den wichtigsten Weinbauländern, was wiederum einen markanten Anstieg der Leistungsfähigkeit der Sorten zur Folge hatte und letztendlich zu Erkenntnis der genetischen Unterschiedlichkeit innerhalb der Sorten führte. Nur diese ermöglichte den Leistungsanstieg durch Auslese der besseren Individuen. Die Ergebnisse der oben erwähnten Sartorius und Bioletti wurden hierdurch verständlich; während der erste das volle Spektrum der alten Rebsorten in ihrem historischen Umfeld untersuchen konnte, stand dem zweiten nur ein Bruchteil dieser Variabilität zur Verfügung welche auf das enge Spektrum der von Amerika importierten Pflanzen zurückging (Rives, 1961).

Gleichzeitig lieferten theoretische Erkenntnisse im Bereich der Genetik und der Evolution neue grundlegende Interpretationsmöglichkeiten erwähnten Versuchreihen. Sie ermöglichen den vermeindlichen Wiederspruch zwischen der zu erwartende genetischen Beständigkeit und der Verschiedenartigkeit die bei alten Rebsorten, durch die laufende vegetative Vermehrung, zu erklähren. Ausgehend von einer vermuteten Gleichartigkeit einer bestimmten Population verursachen natürliche Mutationen die sich in der Erbsubstanz (DNS) wiederspiegeln mit der Zeit genetische Unterschiedlichkeiten. Konsequenterweise erhöht sich die Variabilität mit dem vegetativen Vermehrungsbestand der Sorte, das heiβt sie ist abhängig von der Gesamtanzahl an Pflanzen und der Wiederholunghäufigkeit ihrer (vegetativen) Vermehrung. Damit ergibt sich eine verhältnismäβig direkte Beziehung zwischen der Variationshäufigkeit und der Alterungsphase einer Rebsorte.

So ist man praktisch weltweit zu einem Konsens hinsichtlich der Variabilität, der Alterung sowie einem Zusammenhang dieser beider Parameter bei vegetativ vermehrtern Populationen gekommen. Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, daβ man zum besseren Verständnis der Materie, aber auch zur besseren praktischen Durchführung der Klonenzüchtung, auf systematische Versuchsreihen zurückgegriffen hätte. Aber widersinniger Weise bestand diese Erkenntnis bei der Mehrheit der Rebklonenzüchter bis heute noch nicht, sondern es wird auf eine auf Virusfreiheit beschränkte sanitäre Selektion zurückgegriffen und dabei meist die systematische genetische Selektion vernachlässigt.

In Portugal wurde jedoch eine deutlich abweichende Strategie beim Studium der Rebsorten angewandt. Diese baut auf individueller Untersuchung der Sorten und Verständnis für Ihre Diversität auf. Es wird dabei groβer Wert auf die Quantifizierung und die geografische Verteilung der genetischen Unterschiede innerhalb der Rebsorten gelegt. Dies führt zu wichtigen praktischen und theoretischen Ergebnissen (Martins et al., 2005):

  1. Klärung welches Ausgangsmaterial (Variabilität) für die Selektion verfügbar ist und Festlegung der Gebiete, in denen dieses gesucht werden muβ, um die volle Variabilität zu erfassen;
  2. Sachbezogene Planung der Örtlichkeiten und deren Anzahl, an welchen die Erhaltung der verschiedenen Génotypen erfolgen soll, um Ihre Variabilität vor genetischer Verarmung der Sorten zu schützen. Bei vielen alten Sorten besteht diese schon in beängstigender Weise.
  3. Klärung ihres Ursprungs und vergleichbarer Entwicklungs‑prozesse zwischen Rebsorten und deren regionalen Populationen, unter Berücksichtigung historischer und arquelogischer Informationen zum besseren Verständnis der frühen Wechselwirkungen von Mensch und Kultur.

 

Quantifizierung der Variabilität der Sorten unter Berücksichtigung der regionalen Unterschiedlichkeit.

Die genetische Unterschiedlichkeit kann mit molekularbiologischer Analyse der Erbsubstanz (DNS) gemessen werden kann, aber auch mit traditionellen Mitteln, was jedoch nicht sagt, das diese weniger effizient wären, übereinstimmend zwischen den quantitaiven Eigenschaften der Rebe in Wechselwirkung zur DNS.. Die Ertragssmenge der Pflanze wird als Richtwert für die Ermittlung der Skala der Variabilität zugrunde gelegt, da diese ein Kriterium mit hoher Variationsbreite ist und sich für die Bewertung groβ angelegter Feldversuche eignet.

Um die Variabilität zu untersuchen, muss man Muster von Pflanzenmaterial untersuchen die für die Population (der Rebsorte in einem bestimmten Gebiet) repräsentativ sind. Das Auswahlsverfahren muss deshalb den Erfahrungen aus früheren Feldversuchen und deren Computer‑Simulation entsprechen. Das Musteraufnahme muβ hierzu 50 oder mehr Pflanzen pro Gebiet beinhalten, welche zuvor in alten Weinbergen gekennzeichnet worden waren und dann stockweise (hierdurch werden Sie zum Klon) in grossen Versuchsanlagen (POP) vermehrt werden. Durch die Anwesenheit von Klonen aus den verschiedenern Anbaugebiete wird diese Pflanzung representativ für die Sorte.

Wenn man bedenkt, daβ einige Sorten in vielen Regionen angebaut werden, versteht man, daβ bestimmte Versuchsanlagen 300 und mehr Klone erreichen kann. Solche Mengen sind im landwirtschaftlichen Versuchen unüblich und sie verursachen zahlreiche Schwierigkeiten den Umweltseinfluβ unter Kontrolle zu bekommen. Wir versuchen dieses Problem mit klassischen Methoden für Feldversuche in den Griff zu bekommen. (Hierzu werden zum Beispiel 250 Klone mit jeweils drei Pflanzen in 5 Widerholungen angepflanzt.) Es wurde zur Bewertung ein eigenes mathematisches Modell entwickelt.

Die Ertragszahlen werden ab dem 2º Jahr nach der Veredlung (Standortveredlung) in den 2‑5 folgenden Jahren durch wiegen ermittelt. Die Variabilität wird hierbei in zwei Komponenten zerlegt:‑ Die umweltbedingte und die genetische‑.

Dabei wird ein stabiler Maβstab für den genetischen Unterschied geschaffen, der genotypische Variationskoeffizient (Quotient der mittleren genotypen Abweichung und des mittleren Ertrages). Offensichtlicher Weise sind die so gewonnenen Ergebnisse Schätzungen, sie variieren mit der Anzahl der beobachteten Jahre, mit der Anzahl der Standorte sowie mit weinbaulichen Kriterien die nicht berücksichtigt werden konnten.

Insbesondere die Tatsache, daβ sich die unterschiedlichen Feldversuche an unterschiedlichen Standorten befinden, bringt Schwierigkeiten im Vergleich der Sorten/ Klone mit sich. (Aber das gleiche Problem bestand auch hinsichtlich der Untergruppen gleicher Klone im selben Feldversuch). Diese Einschränkungen vermindern nicht den Erkenntniszuwachs über die unterschiedliche genetische Variabilität der Rebsorten. Dieser wurde bisher mit anderen Methoden nie erreicht.

 

Innere genetische Unterschiedlichkeit von 45 Rebsorten und einige ihrer regionale Sub‑Populationen.

Im Schaubild 1 sind die Werte der CVG des Ertrages von 45 alten Sorten zusammengestellt. Darüber hinaus ist die Mehrheit dieser Sorten Gegenstand dieser Arbeit. Im Schaubild 2 sind die entsprechenden Werte der verschiedenen 3 regionalen Sub‑Populationen mit eingefügt.

Von Anfang an konnte man erkennen, daβ die Werte des CVG des Ertrages mit breiterer Skala streuen; was dafür spricht, daβ dieser Mengenparameter in der Lage ist Sorten zu unterscheiden. Andererseits sind die umweltbedingten Variationskoeffizienten verhältnismäβig moderat und homogen, was wiederum darauf hinweist, daβ das die Ergenisse eine zufriedenstellende Objektivität aufweisen.

Die Positionierung der Rebsorten auf einer so breiten Skala lässt uns seit längerem vermuten, daβ groβe Unterschiede bei den verschiedenen Sorten und bei jeder ihrer regionalen Sub‑Populationen bestehen, was wiederum von der altersmäβigen Entwicklung abhängt und deshalb bei der Auslese der Pflanzen zur Klonenzüchtung berücksichtigt werden muβ. Hierdurch wird es nötig, diese Zahlen fallweise zu überdenken und mögliche Interpretationen mit den sich ergenenden Konsequenzen zu suchen.

In Anbetracht des unzureichenden Platzes für eine umfassendere Erörterung wird hier nur an einigen einleuchtenden Beispielen mit typischen Situationen für die Werte von CVG in Rahmen des Möglichen interpretiert.

Seara Nova. Hat einen niedrigen CVG, was darauf hinweist, daβ die Sorte ein geringes Alter hat. Diese Vermutung entspricht der Realität. Die Sorte wurde über Kreuzungszüchtung (vor ca 50 Jahren) geschaffen und hat auch nur eine limitierte Ausdehnung.

Touriga Franca. Auch diese Sorte hat eine niedrige Variabilität, was für ein geringes Alter spricht. In Anbetracht groβer morphologischer Verwandschaft zur Touriga Nacional, kann man vermuten, daβ sie sich entweder durch somatische Mutation diferenzierte, oder sich aus derem Samen entwickelte. Möglicherweise läβt sich dies mit molekularbiologischer Technik aufklären. In Anbetracht der geringen Variabilität war auch der kaum nennenswerte Selektionsgewinn von nur 1,6% schon zu erwarten.

Jaen. Hat einen sehr geringen CVG ganz in der Nähe der Neuzüchtung Seara Nova, was mit seinem höherem Alter unvereinbar ist. In Anbetracht , daβ die Sorte nur im Dão vorkommt, erscheint es wahrscheinlich, daβ die Sorte erst vor nicht allzulanger Zeit aus dem Ausland eingeführt wurde. Der Name Jaen spricht für einen spanischen Bezug und führte zur Anregung, eine der Population entsprechende Herkunftsorte in Spanien zu suchen.

Lange wurde diese gesucht, bis man sie auf Grund ampelographischer Vergleiche 1993 in der Gegend von Bierzo (Castilla/Leon) fand. Konsequenterweise wurden neue Versuchsanlagen POP in Bierzo und im Dão veredelt; die Analyse der Ertragsmengen gestattete nachzuweisen, daβ in Bierzo eine wesentlich höhere Variabiltät besteht, damit war die These untermauert, daβ dort der Ursprung der Sorte liegt. (Quadro 2).

Die Zone von Bierzo liegt am “caminhos de Santiago” (Jakobsweg), der häufig von Pilgern auf dem Weg zum Grabe des heiligen Jakops benuzt wird. Dies könnte der Ursprung der Migration der Sorte gewesen sein. Die Hypothese sollte durch zukünftige geschichtlichen Untersuchunge hinterlegt werden.

Avesso. Diese Sorte stammt aus eingeschränkter Gegend im Zentrum der Bezirksgemeinde Baião und hat einen verhältnismäβig geringen CVG. Es kann hier eine Paralelle zum Jaen vermutet werden (ebenfall mit nur geringer regionaler Ausdehnung). Die Vermutung diese Sorte komme auch aus Spanien, darf nicht von der Hand gewiesen werden.

Alvarinho. Diese Sorte war bis vor kurzem auf einem sehr beschränkten Gebiet in Portugal angepflanzt worden (Gemeinedebezirk von Monção), was ebenfalls auf eine niedrige Variabilität schlieβen lässt. Der Wert liegt jedoch mit einem CVG von 23,3 viel höher als erwartet, was auf einen stärkeren gegeseitigen Austausch mit dem benachbarten Galizien, in welchem die Sorte stärker verbreitet ist, schlieβen lässt. Auch hier könnte eine geschichtliche Untersuchung die vorgefundene genetische Situation untermauern.

Als Folge dieser Untersuchungen wurden neue Versuche zur Bestimmung der Genotypen in Portugal und Spanien angestellt, letztendlich mit 530 Klonen in Valença. Im Augenblick wird auf die Gelegenheit gewartet, diese Klone als POP Anlage neu veredeln zu können, um die Variabilität der Sorte noch genauer bestimmen zu können.

Arinto. Diese Sorte wird überall im Lande angebaut. Sie verfügt über eine verhältnismäβig hohe Variabilität, was wiederum auf höheres Alter schlieβen lässt. Beim Betrachten der 4 Subpopulationen (Schaubild 2) erscheint es wahrscheinlich, daβ die Sorte ursprünglich aus der Estremadura/Bucelas stammt, danach ins Bairrada migriete und später zum vinho verde und nach Lafões kam. Die Tatsache, daβ die Sorte häfig auch Arinto de Bucelas genannt wird, lässt vermuten, daβ die Sorte eine gewisse Zeit auf dieses Gebiet beschränkt war. So sieht man wie historische Tatsachen mit der Analyse der Variabilität sich gegenseitig bestätigen.

Touriga. Die Variabilität dieser Sorte liegt im mittlerem Bereich. Es kann deshalb nur schwer auf das Alter der Sorte zurückgeschlossen werden. Beim Vergleich der Variabilität der Populationen im Douro und im Dão (Quadro 2) kann man keine Hinweise auf den Ursprung der Sorte finden. Bestenfalls kann man davon ausgehen, daβ seit Bestehen der Sorte Rebmaterial zwischen beiden Gebieten zirkulierte oder zumindest, daβ der Austausch auf breiter Basis erfolgte. Im ersten Falle hätten die beiden regionalen Populationen ähniliches Alter und infolgedessen auch vergleichbare Variabilität. Im zweiten Falle wäre auch häufiger Austausch wegen der geographischen Nähe möglich, was zur Angleichung der beiden Populationen führte, auch dann, wenn die Dauer der Anwesenheit der Sorte im Gebiet unterschiedlich gewesen wäre. In jedem der beiden Fälle kann man schliessen, daβ zwischen Douro und Däo seit langer Zeit intensive Verbindungen bestanden.

Negra Mole. Die Ausdehnung dieser Sorte ist zur Zeit auf die Algarve beschränkt und wird dort nur wenig nachgepflanzt. Die Rechtfertigung ihrer hohen Variabilität muβ im Alter und vielleicht einer früher gröβeren Verbreitung der Sorte liegen. Die zur Zeit immer noch beobachtete hohe Variabilität spricht sehr für eine ursprünglich recht groβe Population, da sonst in den heute doch recht mageren Beständen keine so hohe Variabilität vorherrschen könnte

 

Zrsammenfassung

Die Quantifizierung der genetischen Variabilität des Ertrages innerhalb alter Sorten ist ein neuer Gesichtspunkt der dazu beitragen könnte, die Kenntnis über deren Erbveranlagung und Entwicklungsgeschichte zu erweitern. Hinsichtlich der 45 untersuchten alten Sorten konnte festgestellt werden, daβ diese in ihrer Variabilität unterschiedlich sind. Deren Variationskoeffizienten bewegt sie sich zwischen 6,8 e 42,8. Niedrigere Werte des CVG lassen auf geringes Alter schlieβen, was wiederum nur eine geringe Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Sorte durch Klonenzucht ermöglicht. Letzteres ist der Fall bei den Sorten: Seara Nova, Jaen, Avesso, Alfrocheiro, Trincadeira und Bical. Die Sorten mit höhere Werte besagen das Gegenteil: Sercial, Negra Mole e Viosinho.

Ein tieferes Einsteigen in die Problematik der Variabilität ist erst möglich durch die Analyse unterschiedlicher regionaler Sub‑Populationen der gleichen Sorte.

Bei der Sorte Jaen konnte der Ursprung mit der spanischen Sorte Tinto de Mencia in der Gegend von Bierzo gefunden werden. Bei mancher anderen Sorten sollte in der Zukunft eine entsprechende Forschung erfolgen.

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