Weinbau

Vorgeschichte

Nach der Revolution 1974 entwickelte sich Portugal von einem wirtschaftlich fast isolierten Kolonialstaat mit zentraler Machtstruktur zu einer Demokratie, und wurde ein Jahrzehnt später Vollmitglied der EU (1975‑1986). Dieser Kurswechsel erforderte einen grundsätzlichen Wirtschaftswandel, vor allem der Landwirtschaft.

 

Die Situation zur Phase des EU‑Beitritts

Zunächst wurde im politischen Proporz der pluralistischen Gesellschaft und durch die Rückkehr der damaligen Kolonialverwaltung die öffentliche Verwaltung aufgebläht. Im Landwirtschaftsministerium stieg die Anzahl der Mitarbeiter auf 25.000 an. Des Weiteren passte sich die Privatwirtschaft nur langsam an die Marktbedingungen mit fortschreitend öffnenden Grenzen an, da professionelle und interprofessionelle Strukturen verbunden mit qualifizierter Berufsausbildung fehlten. Die nationalen Produktionsstrukturen waren somit rückständig und die meisten Weine hatten aus diesem Grund zunächst wenig Chancen gegenüber dem internationalen Angebot. Durch Entfall des Exportes in den seit 1975 verlorengegangenen Kolonien und konstanten Rückgang des nationalen Weinkonsums pro Kopf auf fast die Hälfte, klaffte Angebot und Nachfrage auseinander. In den 90er Jahren musste dann die “Garantie des guten Endes” (Destillation der Überschussmengen) durch die EU eingestellt werden, da dies zum größten Haushaltsposten wurde. Nun zeichnete sich der Bedarf einer neuer Marktpolitik basierend auf konsumgerechten Qualitäten ab. Innovation in allen Bereichen der Weinwirtschaft wurde damit zu einer unabdingbaren Forderung. Für viele Großbetriebe, vor allem Genossenschaften ohne eigene Vermarktungsstruktur, begann eine sehr schwierige Zeit. Die Weinbaufläche ging um 40% zurück. Damals war die öffentliche Weinbaupolitik zum einen von karrieregedrängten Wissenschaftlern und zum anderen von der Verteidigung der institutionellen Bedeutung der Verwaltungsstellen (direcção geral) geprägt. Man könnte fast behaupten, dass dadurch die eigentlich zukunftsträchtigen Innovationen der Privatwirtschaft unerwünscht und außerhalb der offiziellen Verwaltungsstrukturen erfolgten (Z. B. im sogenannten Netzwerk der Erhaltungszucht von Reben RNSV). Der Aufbau einer konzentrierten Weinbaupolitik wurde nicht gerade erleichtert, da innerhalb der produzierenden Privatwirtschaft sektorale Berufsverbände vollkommen, und die staatliche Verwaltung der Weinwirtschaft auf Stellen verteilt waren (u.a. Planungskabinett – Junta nacional do vinho, INIA, DGP (A/C/PA), IFADAP, ICEP, MAPA).

 

Fortschrittsplanung beim EU‑Beitritt

Durch die fehlende Erfahrung einer demokratischen Regierung führte der politische Machtwechsel zu konstanter Änderung der Planungsziele und der verantwortlichen Personen. Die Einflussnahme von fremden Nationen war gut gemeint, aber oft mit abweichendem Eigeninteresse verbunden (wie z.B. durch Russland, Deutschland, Israel und USA). Auch in den Bereichen der Wissenschaft und Forschung fehlten die wirtschaftspolitisch richtigen Ziele. Die mangelnden, umgreifenden Initiativen im Weinbau wurden in den ersten 15 Jahren nach Systemwechsel 1974 zu unüberwindbaren Hindernissen. Die Finanzierung der ersten Forschungs‑ und Innovationsprojekte zum Zeitpunkt der offiziellen Bereitschaftserklärung zum EG‑Beitritt 1984 waren im Rahmen der Vision eines neuen Paradigmas: die Marktwirtschaft.

Um die unterschiedlichen Zielvorstellungen zu vereinheitlichen, wurde 1991 der amerikanische Strategieforscher Prof. Michael Porter (Harvard University) beauftragt ein strategisches Managementkonzept für die portugiesische Wirtschaft zu erarbeiten und dessen Umsetzung einzuleiten. Hierzu wurden sektorale Arbeitsgemeinschaften (Cluster) mit staatlichen und wirtschaftlichen Verantwortlichen zusammengestellt. Das wichtigste Ergebnis war die Verantwortungsübertragung auf eine wirtschaftliche Selbstverwaltung über professionelle und interprofessionelle Organisationen mit staatlicher Unterstützung. 2003 wurde die Strategie die Wettbewerbsfähigkeit anzukurbeln vom weinwirtschaftlichen Cluster unter Leitung von Porter wieder aufgenommen. Leider konnten die erarbeiteten Zielvorgaben nur in geringem Masse umgesetzt werden, denn vor allem im wissenschaftlichen Bereich hatte der Staat eigene hochgesteckte Ziele. Aufgrund nachlassender Finanzkapazität seit 2003 durch kostenintensiven Reformstau und durch Ende der EU‑Beitrittsfinanzierung reichten die Mittel nicht mehr für eine wirtschaftsnahe Innovationspolitik aus.

Allgemein wurden bedeutende Veränderungen erreicht: Die Wichtigste war wohl die Verantwortungsübertragung im landwirtschaftlichen Bereich verbunden mit einem reduzierten Staatsapparat von 25.000 auf immerhin noch 7.000 Mitarbeitern. Hierdurch konnte der Berufsstand marktgerecht funktionieren. Fortschritte bei Schul‑ und Berufsausbildung und Aufbau von adäquaten Infrastrukturen, die bisweilen zu großzügig geplant wurden, vor allem aber die Zusammenfassung der verschiedenen weinrelevanten Verwaltungsbereiche zu einem einzigen Weininstitut IVV waren die Voraussetzung zum Umbruch. Ausschlaggebend aber waren die finanzielle und administrative Gründungshilfe des Wirtschaftsverbandes, die Mittel zur wissenschaftlichen Innovation einschliesslich der notwendigen Strukturen und insbesondere die Öffnung der Universitäten für interinstitutionelle Zusammenarbeit mit Privatunternehmen. Hierdurch konnte die Forschung nach wirtschaftlichen Zielsetzungen ausgerichtet werden (Programme der PEDAP, AGRO und ADI/Agentur für Innovation).

Der Rebsortenkatalog mit 327 national angebauten Rebsorten und deren ampelographischer Beschreibung durch Synonyme erfolgte zeitnah. Die Konservierung erfolgte dann in einem zentralen Feld. Von den wichtigsten Rebsorten sollte eine möglichst grosse Anzahl unterschiedlicher Kultivare (über 200 pro Sorte) aus dem ganzen Land in regionalen Pflanzungen erhalten und deren Produktion statistisch untersucht werden. Die Gesetzesgrundlagen für Rebpflanzung, Weinbau und ‑kellerei wurden nun durch die europäische Kommission der neuen Situation angepasst. Hohe Finanzbeiträge zur Neuanlage verbesserter Weinberge und Kellertechnologie einschliesslich neuer Kellereien ermöglichte, auch wenn dies für viele sehr schmerzhaft war, einen raschen Anschluss der portugiesischen Weinwirtschaft an internationales Niveau.

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