DIE SYSTEMATISCHE REBSORTEN-BESCHREIBUNG VON DEN ANFÄNGEN BIS HEUTE

Der griechische Philosoph Demokrit (362–253 v. Chr.) beschreibt Rebsorten nach morphologischen Beobachtungen und erwähnt Synonyme. Sein Landsmann Theophrast (372–328 v. Chr.), Schüler des Aristoteles, charakterisiert einige Rebsorten in seinem Werk „Forschung über Pflanzen des alten Griechenland“.

Wir verdanken Columela (2 v. Chr.–70 n. Chr.) die ersten Rebsortenbeschreibungen in Hinblick auf iberische Weine. Der Römer Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) erweiterte die Anzahl der beschriebenen Rebsorten und verbesserte die ampelographische Systematik. Er unterschied und beschrieb schon 50 Rebsorten (Navarro, 1932: 8). Bassermann (1907: 265 ff.) spricht über Spekulationen verschiedener Autoren, die Rebsorten am Rhein seien römischen Ursprungs. Die Rebsorte Fallerno sei demnach der Riesling, Nomentura der Traminer und Apiana der Silvaner, nach anderen Autoren der Muskateller, Alba sei der Elbling und Aminea der Gutedel (Chasselas). Auch vermutete man, Vitis praecox sei der Frühburgunder. Allerdings konnte bis heute noch kein fossiler Nachweis zu diesen Thesen erbracht werden.

Die Kunst der Beschreibung der botanischen Vielfalt hat auf der Iberischen Halbinsel eine große Tradition, die schon zu Zeiten der Römer mit Lucius Junius Moderatus Columela (Cádiz) begann. Eine der bedeutendsten spätmittelalterlichen Dokumentationen entstand im Auftrag des Kardinals Francisco Jiménez de Cisneros, Erzbischof von Toledo (1436–1517), dritter Großinquisitor und später kastilischer Regent nach dem Tode der katholischen Könige. In seinem Auftrag erstellte Gabriel Alonso Herrera (1470–1539) die umfassende Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Landwirtschaft in dem zwölfbändigen „Tratado de Agricultura“, der 1512 veröffentlicht und kostenlos an Landwirtschafttreibende verteilt wurde. Im 2. Band sind Weinbau und Weinerzeugung einschließlich 15 Rebsorten beschrieben.

Mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung des Weines begann man sich stärker für die einzelnen Rebsorten zu interessieren. Leider gingen jedoch die Aufzeichnungen in den Klöstern Portugals im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung der Säkularisierungsbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts verloren. Deshalb ist die Rebsortenpolitik des 13. bis 17. Jahrhunderts unzureichend dokumentiert.

Als in der Spätrenaissance in Zentraleuropa mit dem Deutschen Sachs (1627–1672), dem Erfinder des Begriffs „Ampelographie“, die wissenschaftliche Beschreibung der Rebsorten begann, konnten auch Portugal und Spanien schon auf erste eigene ampelographische Beschreibungen der Hauptsorten verweisen (siehe hierzu die tabellarischen Aufstellungen Abb. 60, 61).

Rebsorten portugals

Rui Fernandes’ „Descrição do terreno duas léguas em roda da cidade de Lamego“ von 1532 ist die erste bekannte portugiesische Beschreibung der Rebsorten. 1712 folgte Vinzenso Alarte mit „Agricultura das Vinhas“, Lissabon, Oficina Real Deslandesiana. 1790–1792 erschienen von verschiedenen Autoren die „Memória sobre a Cultura das Vinhas, e Manufacturas do Vinho. Memórias da Agricultura“, Teil II (1), Real Academia das Sciencias de Lisboa, die eine breite Informationsbasis über die bestehenden Rebsorten liefern. Viele ampelographische Arbeiten erschienen im 19. Jahrhundert vor dem Einbruch der „amerikanischen Plagen“ und nahezu zahllose Werke nach dem Befall der Weinberge.

Die Weine der verschiedenen Gebiete wurden im Zusammenhang mit den entsprechenden Sorten bewertet. Vila Maior in seinem „Handbuch für praktischen Weinbau“ (1875: 430‑515) und Ferreira Lapa in seiner „Landwirtschaftlichen Technologie“ (2. Ausgabe, 1874: 92) fassten die gewonnenen ampelographischen Erkenntnisse zusammen und kamen damals auf 220 verschiedene portugiesische Sorten.

Das Ministerium für Landwirtschaft widmete sich unermüdlich dem Thema und veröffentlichte im „Boletim da Direcção Geral da Agricultura“ die Resultate der ampelographischen Studien. Dabei werden in dem Rebsortenkatalog von Meneses (1896/1900) 320 Literaturangaben für unterschiedliche Rebsorten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts benannt, weitere 100 sind bis 1850 aufgezeichnet. Am Ende des Jahrhunderts fand auf internationalem Niveau die Ampelographie einen Höhepunkt mit dem Werk der Franzosen Vialat und Valmorel, die 5.200 Sorten beschrieben. In Portugal muss das Werk von Cincinnato da Costa (1900) „Portugal Vinícola“ hervorgehoben werden. Es sollte jedoch auch auf die „Ampelographischen Studien“ von Marques de Carvalho (1903), Mitarbeiter der bedeutenden Ampelographie von Vialat und Valmorel, hingewiesen werden. Zu dieser Zeit hatte die Akademie für Wissenschaft keine ausreichenden finanziellen Mittel, um das Buch herauszugeben (Ref. interne Notiz der Akademie, nach Telles Antunes). In diesem Zusammenhang muss auch José de Lencastre (1945) erwähnt werden, der in seinem Katalog der weinbaulichen Veröffentlichungen auf 3.305 Werke kommt.

In den 80er Jahren erschien als erste systematische Arbeit die Dissertation von João Antero Araújo über die Sorten des Alentejos. Parallel erfolgte eine vereinfachte Bestandsaufnahme der 341 verschiedenen „offiziellen“ Rebsorten unter der Leitung des IVV (Instituto da Vinha e do Vinho) für alle Weinbaugebiete mit Fotografien und OIV‑konformer Beschreibung. Unter der Verantwortung des Ampelographen der EVN (Dois Portos) Dr. Eiras Dias wurde ein Katalog der Synonyme erstellt. Auf dieser Grundlage entstand 2000 das Rebsorten‑Kataster (Portaria n.º 428/2000 vom 17. Juli) mit Beschränkung der Synonyme und Eliminierung vieler homonymer Bezeichnungen. Im Rahmen eines Projekts (2005) zur molekularen Analyse wurden inzwischen alle Sorten charaktisiert und dabei 17 Synonyme identifiziert. 2007 erschien unter der Verantwortung von Hans Jörg Böhm als Koordinator und Mitautor bei Chaves Ferreira das „Große Buch der Rebsorten“. Es wurden 70 Rebsorten detailliert nach allen bekannten Kriterien beschrieben, einschließlich geographischer Relevanz (IVV).

 

Rebsorten spaniens

Durch die besondere Lage am Mittelmeer und an der grenzüberschreitenden Küste am Golf von Lion war in Spanien der Einfluss fremder Völker stärker als in Portugal. Die Bedeutung eingewanderter Vitis‑vinifera‑Sorten ist daher flächen‑ und zahlenmäßig größer. Lucius Junius Moderatus Columela, gebürtig aus Cádiz, beschreibt anno 42 n. Chr. in seinen Werken „De Re Rustica“ und (von Don Vicente Tinajero 1879 ins Spanische übersetzt) „Los Doce Livros de Agricultura“ den Weinbau (Band 3) mit Rebsorten. Der Weinbau in Hispania war für Rom wichtig, da Kaiser Domitian anno 92 n. Chr. den Weinbau in Gallien ausreißen ließ, weil dieser die Barbaren anzog. Erst in der maurischen Epoche entstanden wieder neue Aufzeichnungen mit Beschreibungen der Rebsorten (Ibn al Awam und Ibn al Baitahar).

Religiöse Orden, vor allem die Zisterzienser, versuchten an strategischen Orten, wie zum Beispiel entlang dem Wallfahrtsweg nach Santiago de Compostela, aber auch an der Costa Brava, den Weinbau durch Abgabe von Pflanzgut leistungsfähiger Sorten zu fördern. Der erste Spanier, der den spätmittelalterlichen Zustand des Weinbaus dokumentiert, ist Gabriel Alonso Herreras (1470–1539) mit seinem „Tratado de Agricultura“. Valcarel (1720–1799) verfasste einen weiteren „Tratado de Agricultura y Gobierno de la Casa de Campo“, der in den Jahren 1765–1795 erschien. 2003 erschien ein Buch über die spanischen Rebsorten, das von verschiedenen ampelographischen Schulen spricht, entsprechend den bis heute noch stark dezentralen Verwaltungsbezirken, „La Colección de Variedades de Vid de ‘El Encín’. Un recorrido por la Historia de la Ampelografia“ von Félix Cabello et al.: 1765 und 1799 veröffentlichte Joseph Antonio Valcárcel eine zehnbändige „Agricultura Geral“.

Die Rebsortenbesprechungen der zuvor erwähnten spanischen Autoren gelten als nicht umfassend und inkonsistent in der Methode der Beschreibung und werden als „klassische Ampelographie“ bezeichnet.

Mit D. Simon de Rojas Clemente y Rubio, 1882, „Ensayo  sobre las Variedades de la Vid Comun que vegetan en Andalucía“ beginnt die systematische Ampelographie. Diese wurde bis ins 20. Jahrhundert perfektioniert und geht von klaren phänologischen Kriterien und morphologischen Merkmalen aus – in ähnlicher Weise, wie die Sortenbestimmung später von der OIV festgelegt wurde. Sie wird damit zur beschreibenden Ampelographie. Hinzu kommt heute als genaueste und modernste Variante der Sortenbestimmung die molekulare Ampelographie.

Clemente folgen Vertreter der verschiedenen regionalen Schulen wie Eduardo Abela Saínz de Andino aus Andalusien (1885, El libro del viticultor), Benaventura Castellet aus der Levante (1886, Viticultura y Enologia …), Victor Cruz Manzo De Zuñiga y Enrile, Vertreter der Rioja‑Schule (1905, Memoria Anual de la Estacion Enologica de Haro), für die Zentralregion steht Nicolás Garcia de los Salomones (1914, Las variedades del vid propria de cada comarco…). Er gilt als Mentor der nationalen Rebsortensammlung der Finca El Encín. Zu erwähnen ist noch der “Tratado Práctico de Viticultura e Enología Española” von Juan Marcilla Arrazola (1954).

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert bis heute folgten zahlreiche ampelographische Werke meist regionaler Herkunft, welche einzeln anzuführen den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Zu nennen ist allerdings noch der offizielle Rebsortenkatolog „Variedades del Vid – registro de variedades comerciales“, herausgegeben 2003 vom Landwirtschaftsministerium unter Verantwortung von Ing. Pedro Miguel Chomé Forster et al., der 81 Sorten (einschließlich Tafeltrauben und ausländische Sorten) detailliert nach OIV‑Richtlinien beschreibt und über 100 weitere Rebsorten tabellarisch erfasst.

 

BEWAHRUNG DER IBERISCHEN REBSORTEN

Iberien kann auf eine einmalige Rebsorten‑Situation verweisen. Ihr Stammbaum basiert auf dem eiszeitlichen Refugium für Vitis vinifera subsp. sylvestris auf einer durch Meer und Gebirge abgegrenzten Halbinsel. Aus diesem originären „Genzentrum“ sind durch Selektion über 500 anerkannte Rebsorten, angepasst an das warm‑heiße Klima zwischen dem 36. und 41. Breitengrad, entstanden. Dieser monomorphe Genpool wurde angereichert und verschwägert durch jungholozäne Migration edler Vitis‑vinifera‑Sorten des frühen Orients und östlichen Mittelmeers. Man kann diese Rebsorten besichtigen (siehe Abb. 78‑81).

In Portugal wurde in der Weinbauforschungsanstalt in Dois Portos in den 1990er Jahren eine Sammlung aller Rebsorten, die offiziell anerkannt sind, in situ erstellt (verantwortlich Dr. Eiras Dias). In Spanien wurde von der Autonomen Region Madrid die Aufgabe übernommen, in der regionalen Forschungsanstalt El Encín die Sammlung der spanischen Rebsorten aller Autonomen Regionen in situ vorzunehmen (verantwortlich Dr. Félix Cabello).

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