DIE ANTWORT DER ALTEN WEINWELT

Dies war für die alte Weinwelt eine plötzliche und unerwartete Herausforderung, der die alten EG‑Mitglieder aufgrund kostenintensiver Verbote und die neuen Mitglieder wegen ihres önologischen und weinbautechnischen Rückstands wenig entgegenzusetzen hatten. Die EU‑Vorschriften mussten wegen der Wettbewerbsnachteile durch Weinbergbewässerung, Chip‑Gebrauch oder Kellereitechnologien angepasst werden.

Erst seit der drastigen Reduzierung der Destillations‑garantie durch die EU in den 90er Jahren konnte sich in der alten Weinwelt ein neues Qualitäts‑ und Rebsortenbewusssein auf breiter Ebene entwickeln. Während der spanische Weinbau in den 70er Jahren schon mit preisgünstigen Alternativen zu den französischen Weinen internationale Marktpräsenz schaffen konnten, hinkte Portugal nach. Vor der Öffnung der Grenzen, die dank schnellen und entschiedenen Handelns der Politiker Mitterand und Kohl zustandekam (1985 Schengener Abkommen, 1986 EU‑Beitritt der Iberischen Staaten), waren Portugal und Spanien der EG gegenüber benachteiligt gewesen, da sie Drittland waren und durch Kontingent‑ und Zollpolitik sowie durch die eigene Bürokratie vor schwer überwindbaren Handelsschranken standen. Dies änderte sich erst mit der EG‑Assoziierung. Im internationalen Preis‑Qualitäts‑Ranking hatte Portugal zwar dank der klugen Portwein‑Politik und einiger weniger Trinkweinkellereien mit internationalem Standard keine schlechten Karten. Die Produktqualität bei den Tafelweinen war allerdings erzeugerabhängig, sie waren daher nur in sehr geringem Maße exportfähig.

 

In Portugal wurde 1992 vom Wirtschaftsministerium der amerikanische „Guru“ Michael Porter (Havard Business School), Leiter des Institute for Strategy and Competitiveness, dazu gewonnen, die seinerzeit bestehenden Kontaktängste der privaten Unternehmer gegenüber den staatlichen Organisationen und vor allem der Letzteren untereinander abzubauen und die unterschiedlichen Aspekte der beteiligten Einheiten zu einer wirtschaftlich tragfähigen Weinwirtschaft zusammenzuführen. Ein wesentlicher Erfolg dieser Aktion war, dass die kritiklose Akzeptanz des Staates als quasi gottgewollte und unabwendbare Hoheit in Frage gestellt wurde zugunsten der Mitsprache des professionellen Sektors.

Zügig wurden die bestehenden Weinbauregionen in abgegrenzte Weinbaugebiete (D.O.) unterteilt. Interprofessionelle Kommissionen, die CVRs, wurden von regionalen Produzenten (Kellereien, Genossenschaften, Weingüter) geschaffen und übernahmen schnell die zuvor von Beamten verwalteten Funktionen.

Das Vertriebs‑, vor allem das Exportkonzept der großen Kellereiunternehmen Portugals war in den 80er Jahren überholungsbedürftig geworden. Mit der gemeinsamen Gründung einer Gesellschaft für Vermarktungsförderung, der Viniportugal, wurde daraufhin die Möglichkeit geschaffen, gemeinsam auf breiterer Basis – vor allem im Ausland – Fuß zu fassen. Es entstand das Problem, dass sich das Landwirtschaftsministerium für seine Tätigkeit im Bereich Weinbau über eine bestehende parafiskale Abgabe finanzierte. Die private Weinwirtschaft litt darunter, dass sie nunmehr eine doppelte Werbeabgabe zahlen sollte.

Zunächst erfolgte ein schmerzhafter Prozess, der ein Umdenken bezüglich der Rebsorten und der Kellertechnologie verlangte. Zur Lösung dieses Problems stellte die EU in den 90er Jahren beachtliche Mittel zum Erwerb der notwendigen Kellereianlagen zur Verfügung. Weiterhin wurden mit dem Vitis‑Programm (ab 1997 mit Decreto‑Lei n.º 83/97, de 9 de Abril) großzügige Prämien für Neuanlagen der Weinberge gewährt; damit stellte man die Erneuerung der mit unerwünschten Rebsorten bestückten Anlagen sicher. Leistungsfähige Klone oder Klongemische standen zunehmend zur Verfügung.

Heute ist fast die Hälfte der iberischen Rebflächen wettbewerbsfähig. Der Exportanteil der Produktion verdoppelte sich schnell, auch teure Weine fanden dabei den Weg ins Ausland. Internationale Wissenschaftler, Journalisten und andere Meinungsbildner kamen zu Konferenzen und Symposien nach Portugal, Verbände und Unternehmen wurden immer aktiver und beeinflussten den qualitativen Produktionsprozess in der Privatwirtschaft. Dies wiederum schlug sich in großen Erfolgen bei Prämierungen und Anerkennung in der Presse nieder. So wurden die portugiesischen Weine dank ihrer hochwertigen und eigenwilligen autochthonen Rebsorten zum Tipp der Insider auf einigen Zielmärkten des internationalen Weinhandels. Nicht zuletzt hilft auch der seit seiner Befriedung enorm expansive angolanische Markt, die traditionelleren Weine preisgünstig abzunehmen und damit den Binnenmarkt zu entlasten.

Das zweite „Cluster Porter“ (in Nachfolge des obenerwähnten Treffen mit Micheal Porter), das 2003 von der Monitor Group (Michael Porter nahestehend) geleitet wurde und auf den Markt ausgerichtet war, konnte im Hinblick auf die Koordinierung der staatlichen Aktivitäten mit den privatwirtschaftlichen Bedürfnissen seine Ziele noch nicht erreichen. Man wollte neben der immer noch vorwiegend auf althergebrachten Werten basierenden Qualitätspolitik eine neue, rein marktorientierte Konzeption schaffen und nach dem Vorbild des australischen Modells, in dem Produktion, Wissenschaft, Ausbildung und Marketing eine gemeinsame Politik betreiben, Portugal an die Moderne heranführen. Hierzu sollte eine eigene „R&D Coordinating Agency“ gemäß der australischen „Grape and Wine Research Development Corp.“ geschaffen werden, um einen Teil der EU‑Mittel für Wissenschaft marktkonform einzusetzen.

Im Hinblick auf das Thema Rebsorten war die Innovation ein wichtiges Basiselement der Strategie des Cluster Porter. Die Festlegung von „Pilot‑Rebsorten“ und die Reduzierung des Sortenspiegels waren eine marktmäßige Notwendigkeit. Hierbei spielt in der neuen Weinwelt die optimale Rebsorte (die kostengünstig guten Wein produziert) eine zentrale Rolle. Im Cluster gab es diesbezüglich Überlegungen zugunsten der beiden Sorten Touriga Nacional und Arinto (campaign 1). Dieses Konzept zugunsten der werblichen und anbautechnischen Aufwertung von Leitrebsorten, verbunden mit der Verminderung der den Verbraucher verwirrenden Anzahl an Rebsorten („varietal rationalization“), war eindeutig bevorzugt worden, man befüchtete jedoch schon im Cluster Porter (campaign 4), dass dieses Primärziel in Portugal mit der Idee des „museum or other preserver of national heritage“, also einer Strategie zur möglichst breiten Erhaltung aller Biodiversitäten der Reben, konkurrieren würde.

Das Cluster Porter war ein Schritt in die richtige Richtung, damit das Portugal der alten Weinwelt wieder mit der neuen Weinwelt gleichziehen könnte. Die Wirtschaftskrise der jüngsten Zeit kam allerdings sehr früh, der Verschuldungsgrad der meisten mittleren und kleinen Unternehmen ist noch sehr hoch. Die vom Cluster Porter vorgegebenen Ziele werden erhebliche Investitionen und ein Umdenken in der Innovations‑ und Rebsortenpolitik erfordern.

 

In Spanien waren die neuen Herkunftsbezeichnungen sicher nicht „der neue Messias“, wie Cañon (1998: 450) zynisch bemerkt, aber sie gaben für den ehrlichen Produzenten eine solidere Rechtsgrundlage ab und führten letztendlich zu dem Erfolgsmodell „spanischer Wein“. Namen wie Miguel Torres, die Familie Codorníu mit ihrer colonia viticola europea mit 2.000 Hektar (Raimat/Llerida), Freixenet oder Marqués de Riscal, um nur einige zu nennen, lassen erkennen, was gute Unternehmer zu tun haben. Aber es folgten auch die alten Weingüter, Kooperativen und Kellereien einschließlich vieler Quereinsteiger, oft aus der boomenden Baubranche. Sie alle stellten den Wiederaufbau des spanischen Qualitätsweins sicher. Die Rebsorte im Wechselspiel mit dem ihr adäquaten Terroir steht wieder im Zentrum der Strategie. Hinzu kam allerdings modernste Weinbau‑ und Kellertechnik, mit der die Internationalisierung der zuvor oft erklärungsbedürftigen spanischen Weine hin zum großen Welterfolg erst möglich wurde. Was zählt, ist das Preis‑Leistungs‑Verhältnis und die Qualität im Glas des Verbrauchers.

Ein Sonderproblem ist Castilla‑La Mancha, ein Weinbaugebiet, das in vielen Aspekten durch seine Größe beeindruckt. Es ist nicht nur mit über 600.000 Hektar Rebfläche das größte Weinbaugebiet Spaniens, sondern hier findet sich mit dem Airén auch eine Rebsorte, die fast ausschließlich in dieser Region gepflanzt wird und damit trotzdem zu den meistgepflanzten Rebsorten der Welt gehört. Für sich alleine wäre die Region schon das drittgrößte Weinbauland der EU. (F. Sánchez Rodríguez 2000: 127 ff.) Nach dem EU‑Beitritt hat man versucht, dieses flächenmäßig gewaltige Weinbaugebiet vom Image des Massenweinerzeugers zu befreien. 1997 wurde die Neuanpflanzung zur Produktion von Qualitätsweinen der D.O.s Almansa, Mérida (D.O. seit 1992, 14.000 Hektar) und Jumilla (1975, 50.000 Hektar) mit hohen Zuschüssen ausgestattet. Als weitere D.O.‑Gebiete kamen Modéjar (1997, 2.100 Hektar), La Mancha (1997, 178.107 Hektar) und Valdepeñas (1997, 16.000 Hektar) hinzu. Es wurde vor allem der Rotweinanbau der Sorten Tempranillo (Cencibel), Cabernet Sauvignon und Alicante Tintorero in Almansa, bei den Weißweinen Macabeo, Chardonnay und in Mérida Albillo gefördert. Gleichzeitig ging die Anbaufläche um 100.000 Hektar (entspricht der deutschen Gesamtrebfläche) zurück. Die Weinberge von La Mancha sind hiermit in jeder Hinsicht ein Unikum in der EU und werden das wohl auch noch eine Weile bleiben.

Ein anderes interessantes Beispiel ist Rías Baixas. 1987 bearbeiteten hier 492 Winzer 237 Hektar und erzeugten 5.850 Hektoliter, die alle im Inland konsumiert wurden – 1997 waren es schon über 4.000 Winzer, die 2.000 Hektar bearbeiteten und über 60.000 Hektoliter erzeugten. Diese Entwicklung hat bis heute konstant angehalten. Dieser wundersame Aufstieg ist auf eine einzige Rebsorte zurückzuführen, den Albariño, der in Portugal schon in den 70er Jahren eine Blüte erlebte, aber inzwischen von den „Galegos“ (Spitznahme der Nordspanier in Portugal) weit überholt wurde. Überragende Kellertechnik und eine optimale Beziehung von Terroir und Rebsorte haben diesen Wein heute zu dem meiner Meinung nach edelsten Weißwein der warmen Klimazone gemacht. Die Schaffung neuer Weinberge in der bergigen Region ist nur durch schwere Erdbewegungen möglich, der hohe Preis des Weines ist Anreiz für konstante Erweiterung von An‑ und Ausbau. Dafür kam mit dem Verdelho aus Rueda auch noch ein zweiter großer Weißwein zu den vielen spanischen Exporterfolgen hinzu.

Auf der soliden Grundlage einer sehr langen gemeinsamen Weinbaugeschichte und einem breiten und eigenständigen Rebsortenspiegel von an das vielseitige Terroir der iberischen Halbinsel angepassten Sorten, erzeugt die spanische und die portugiesische Weinwirtschaft dank modernster Technologie in Weinberg und Keller eine überraschende und authentische Vielfalt großer Herkunftsweine.

Die Antwort auf die Herausforderungen eines weltweiten Weinanbaus ist in Spanien wie in Portugal der herkunftsbezogene Qualitätswein, erzeugt aus Terroir‑gemäßen Rebsorten.

Daneben beweisen Kellereien mit ihrer neuen weltoffenen Ausrichtung Umweltbewusstsein, Kultur und Kundennähe, wie an den markanten Beispielen des Marques von Riscal von Frank Gehri in Spanien und die Adega Mayor von Siza Vieira in Portugal zu sehen ist.

Beide Länder bemühen sich jetzt und in Zukunft, eine richtungsweisende Alternative zum globalen önologischen Uniformismus zu bieten!

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