DIE ANFÄNGE DES WEINBAUS

Die Wiederbesiedlung Europas durch die Rebe Vitis (E.) vinifera sylvestris geschah nach der Eiszeit auf natürlichem Wege, zum Beispiel durch den Transport der Kerne im Kot der Vögel.

Später im Bronzezeitalter wurden aus der zweihäusigen Vitis sylvestris die einhäusig zwittrigen Vitis‑sativa‑Sorten selektioniert, die durch menschliche Selektionstätigkeit zu Edelreben (Vitis vinifera) wurden, aus denen sich langsam regional angepasste hochwertige Rebsorten differenzierten. R. Ocete. et al. (2000) weisen darauf hin, dass auch heute noch in der Zone zwischen dem Schwarzen Meer und dem Hindukusch sehr häufig hermaphrodite Reben in V.‑sylvestris‑Populationen anzutreffen sind. Diese Sorten erfuhren durch Handelsreisende eine „Migration“ entlang der damaligen Handelswege, über das Meer und entlang der Karawanenstraßen.

Negrul (1959: 4–29) geht von drei verschiedenen Wanderungsrichtungen und damit Gruppen der Vitis vinifera subsp. sativa (DC) aus, losgelöst von der Migration der Vitis vinifera subsp. sylvestris (Gmel):

– Die erste Gruppe entwickelte sich in Griechenland und Kleinasien. Sie bildet kompakte Traubenbeeren kleiner und mittlerer Grösse mit roter, weißer oder rosa Färbung, gut geeignet zur Weinbereitung. Diese Gruppe wurde von ihm benannt als „Vitis vinifera occidentalis Negr.“ Sie verbreitete sich in Italien, Iberien, Frankreich und Zentraleuropa. Turkovíc (1961: 88) verweist auf ein Farbphänomen: Er bemerkt bei der Vitis sylvestris dieser Regionen, dass die Sorten südlich des 46. Breitengrades in der Mehrzahl blaue, die nördlichen jedoch weiße Beeren haben. Levandoux (1956) ordnet die Sorten Riesling, Silvaner und Petit Verdot dieser Gruppe zu. Branas (1974: 65) bezeichnet die Sorten dieser Gruppe („tous les cépages de cuve de l’Europe occidentale“) als Qualitätsweinsorten („vin de qualité“).

– Die Rebsorten der zweiten Gruppe kommen aus der gleichen Ausgangsregion, sie wanderten über den Balkan und folgten der Donau bis zum Schwarzen Meer (dem einstigen Ponto Euxino). Negrul benannte diese Gruppe „Vitis vinifera pontica Negr.“ Branas (1974: 65) unterteilt diese Gruppe in „subprole [Untergruppierung] georgica Negr.“ und „subprole balcanica Negr.“

– Die dritte Gruppe benannte Negrul als „Vitis vinifera orientalisNegr.“ Sie umfasst in ihrer Mehrzahl weiße Sorten mit großen, oft länglichen Beeren, sukkulentem Fruchtfleisch und kräftiger Beerenschale, einige ohne Kerne (apirene Sorten), fast alle aromatisch, viele waren Tafeltrauben. Sie stammen aus subtropischen Gebieten einschließlich Ägypten. Hierzu gehören Sorten wie Regina, Moscatel de Alexandrie (welche dem portugiesischen Moscatel de Setúbal entspricht), Damascenas, Chasselas und kernlose wie Korinthen oder Sultana (Sultanina).

Turkovíc (1961: 85) unterstreicht, dass der Weinbau vor 10.000 Jahren seinen Anfang in Zentralasien nahm, lange bevor er in den Westen kam, und von Usbekistan bis zum westlichen Tien Schan, Tadschikistan, Afghanistan, Kaschmir, selbst bis ins Pamir‑Gebirge reichte. Es werden von ihm ungefähr 300 Regionalsorten der „Vitis vinifera orientalis Negr.“ zugeordnet. Diese Gruppe dürfte aus Vitis sylvestris et caucasica (Vavilov) entstanden sein. Die neusteinzeitlichen Menschen kannten schon Weinberge, zum Beispiel in Turkmenistan und in den Oasen Zentralasiens, wo Grund und Boden rar waren – eine grundsätzlich andere Situation als in den üppigen Wäldern der gemäßigten Klimazonen.

Auffallend ist, dass Negrul sich nicht der Besonderheit eines eigenen originären Genpools in Iberien bewusst war. Er hatte zwar die Immigration durch den Menschen erkannt, aber nicht berücksichtigt, dass in der Eiszeit die Iberische Halbinsel ein geschlossenes Genzentrum darstellte: auf drei Seiten vom Meer umgeben und im Norden abgetrennt durch den Gebirgszug der Pyrenäen, vor allem aber an die Permafrostgrenze stoßend, über die erst im Holozän eine natürliche Migration denkbar ist. Die Emigration der iberischen Sorten begann deshalb erst sehr viel später, und in Anbetracht von über 500 unterschiedlichen regionalen, meist sehr hochwertigen, an das warme Klima des 38. Breitengrads angepassten Rebsorten ist es berechtigt, von einer eigenständigen vierten Gruppe der Vitis vinifera zu sprechen. Dies zu belegen, hat sich dieses Buch unter anderem zur Aufgabe gemacht.

Hier wurden einst Samen ausgesät und konsequent die Stöcke mit unzureichender Leistungsfähigkeit ausgerissen. So wurden über Jahrtausende hinweg die besten Sorten mit den oben beschriebenen Eigenschaften ausgelesen.

Turkovíc (1961: 88) geht davon aus, dass sich die beiden ersten Gruppen auf ihrer Wanderung spontan mit regionalen Kultur‑ und Wildreben kreuzten. Viele Sorten, die heute als autochthon gelten, entstanden auf diese Weise. Regner (1998) verweist auf ein solches Phänomen der Vermischung bei der Migration der Sorten: Aus der Kreuzung mit der
mittelalterlichen Sorte Heunisch (Nordfrankreich, Deutschland und Ungarn) resultieren gemäß Molekularanalyse die Sorten Chardonnay, Gamay und Auxerrois. Überaus interessante genetische Beziehungen der iberischen Rebsorten wurden mittels SNIP‑Analyse der Chloroplasten in Spanien ermittelt, die aber wegen fehlender wissenschaftlicher Veröffentlichung nicht gezeigt werden können.

Die vermuteten ersten Weinbauregionen existierten in der Vorgeschichte (Holozän: jüngere Steinzeit, Kupfer‑ und Eisenzeit). Peñin (2008)erwähnt das Museum von Tiflis als Nachweis des ältesten vorzeitlichen Weinbaus. Dank reichem Erzvorkommen gab es hier frühe menschliche Zivilisationen (wahrscheinlich mesopotamischen Ursprungs, wie zum Beispiel die Shulaweri‑Shomutepe‑Kultur, die Hassuna‑, Samarra‑ und die Halaf‑Kulturen).

Gilgamesch war vermutlich einer der wichtigsten Herrscher der Sumerer in Mesopotanien. Uruk war ein frühes städtisches Zentrum mit Hinweisen auf Weinbau. Man vermutet, dass hier in den frühen Stadtstaaten auch die Schrift erfunden wurde. Nach dem Gilgamesch‑Epos, das wahrscheinlich nach einem Jahrtausend mündlicher Überlieferung auf Tontafeln geschrieben wurde, soll König Gilgamesch die Unabhängigkeit Uruks erwirkt und dann Handelswege eröffnet haben. In dem Epos wird von dem weißen Enkidu erzählt, der von „sieben Glas schwerem Wein“ spricht (Peñin 2008: 30); dabei kommt zum Ausdruck, dass damals Bier ein vulgäres alkoholisches Getränk war, Wein dagegen mehr sakralen Charakter hatte.

Im Gesetzeswerk (Kodex) von Hammurabi wurde ein Jahrtausend später die babylonische Rechtspechung festgelegt. Hier wird der Wein als Getränk der Oberschicht erwähnt. Anli und Fidan (2001) verweisen auf die frühe Zivilisationform in Katal Hüyük in Zentral‑Anatolien seit 7000 v. Chr. und in Cayönü 7500 mit sesshaften Kulturen und vermuten Weinbau. Die Nähe zum Kaukasus (Berg Ararat) und andere Hinweise legen nahe, dass hier einige der ersten vorzeitlichen Weine existierten.

Für das assyrische Reich geht man davon aus (Peñin: 27), dass bei Ninive Weinbau betrieben wurde.

^